Dieser Text beleuchtet die vielfältige Landschaft des Chassidismus und das zeitgenössische chassidische Pilgerwesen in Polen und der Ukraine.
Text
Vielleicht haben Sie sie schon einmal gesehen oder über sie gelesen – Gruppen schwarzgekleideter Männer, die oft tief in ihren Gebetsbüchern versunken sind und wie nicht von dieser Welt scheinen. Diese Menschen gehören zu einer der vielen weltweit verbreiteten  chassidischen
Chassidismus
auch:
Hasidismus, Hassidismus, Chasidismus
Mystische, in viele Gruppierungen zerfallende Erneuerungsbewegung im Judentum, die von Ba'al Shem Tov (meist mit dem Akronym Besht bezeichnet, eigtl. Israel ben Eliezer,) in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Podolien ausging und im östlichen Europa rasch weite Verbreitung in allen sozialen Schichten fand. Charakteristisch ist die Herausbildung einzelner chassidischer Höfe, an denen sich die Anhänger um ihren Rebbe (Tzaddik) scharen. Bezeichnend für den Chassidismus ist aber auch die erbitterte Gegnerschaft, die er in rabbinischen Kreisen, so vor allem in großen Teilen Litauens und Belarus, hervorrief.
 Gruppen. Die meisten von ihnen leben entweder in Israel oder in New York; man kann chassidische Zentren jedoch auch in ganz Europa finden (Antwerpen in Belgien oder Stamford Hill im Vereinigten Königreich). Wenn man ihnen aber in Osteuropa begegnet, sind es höchstwahrscheinlich Pilger:innen – chassidische Pilger:innen auf dem Weg zu oder von ihren Schreinen. Chassidische Schreine in Osteuropa, insbesondere in Polen und der Ukraine, sind historisch mit dem pulsierenden jüdischen Leben in der Region, das durch den Zweiten Weltkrieg fast gänzlich ausgelöscht wurde, und mit den zahlreichen Gräbern chassidischer Führer verbunden. Dieser Text befasst sich mit zeitgenössischen chassidischen Reisenden in ihre „alte Heimat“ und erörtert verschiedene Mythen über sie.
Der Chassidismus als religiöse Bewegung entstand und entwickelte sich im 18. Jahrhundert auf dem Gebiet des ehemaligen 
Polen-Litauen
eng. Polish–Lithuanian Commonwealth, lit. Abiejų Tautų Respublika, pol. Rzeczpospolita Obojga Narodów, deu. Erste Polnische Republik, lat. Respublica Poloniae, pol. Korona Polska i Wielkie Księstwo Litewskie, lat. Res Publica Utriusque Nationis, deu. Republik beider Völker

Bereits 1386 wurden das Königreich Polen und das Großfürstentum Litauen durch eine Personalunion verbunden. Polen-Litauen bestand als multiethnisches Staatsgebilde und Großmacht im östlichen Europa von 1569 bis 1795. In dem auch Rzeczpospolita genannten Staat wurde der König von den Adeligen gewählt.

. Das Wort „Chassidismus“ bedeutet „Bewegung der Frommen“ (aus dem Hebräischen). Ziel dieser Volksfrömmigkeitsbewegung war es, das Judentum zu reformieren und es zu einer integrativeren und bodenständigeren Religion zu machen. Der Begründer des Chassidismus, Baal Shem Tov (hebräisch für „Mensch mit gutem Namen“), einer der zahlreichen jüdischen Mystiker und Heiler in Polen-Litauen, war aufgrund seines Charismas und seiner einfachen Ideen bei den Massen äußerst beliebt. So betonte er beispielsweise die Bedeutung des aufrichtigen Gebets und der Suche nach der Gegenwart Gottes im täglichen Leben. Darüber hinaus wurde er zum Verfechter der Idee eines  Tzaddik
Tzaddik
auch:
Zaddik
Der Tzaddik, wörtlich übersetzt: Gerechter, ist eine spirituelle Führungsfigur im Chassidismus, die auch als Rebbe oder Admor bezeichnet wird. Sie wurde nicht per Wahl auf Grundlage einer formalen Ausbildung bestimmt; vielmehr waren für die Anhänger eines Tzaddiks dessen Charisma und spirituelle Fähigkeiten ausschlaggebend. Diese Würde ist seit dem 19. Jahrhundert erblich und geht in der Regel auf einen Sohn über. Auf diese Weise bildeten sich chassidische Dynastien (Höfe) heraus, die vielfach bis heute bestehen.
 („Gerechter“, aus dem Hebräischen) - eines spirituellen Führers, einer Person, die wegen ihren außergewöhnlichen Werten und ihrer geistiger Tiefe in einer Gemeinschaft gebraucht werde. Chassidim glauben, dass das Gefühl der Freude dabei hilft, eine persönliche Verbindung zu Gott herzustellen und aufrechtzuerhalten. Ein weiteres wichtiges Merkmal des chassidischen Lebens ist der Kontakt mit einem Tzaddik. Jede chassidische Gruppe hatte einen spirituellen Führer, und wenn dieser weit entfernt von seinen Anhänger:innen lebte, pilgerten sie zu dem Tzaddik, um seine Weisheit zu hören und sich mehr mit Gott verbunden zu fühlen. Der Erfolg dieser Bewegung lässt sich dadurch erklären, dass sie sich an breite Massen richtete und die Hingabe als wichtiger erachtete als die Kenntnis der heiligen Texte. Es ist nicht verwunderlich, dass es in der Geschichte viele Spannungen zwischen den Chassidim und anderen jüdischen Gruppen gab, die erstere als zu fremd und unkonventionell ansahen.
Im Laufe der Zeit wurde die chassidische Bewegung immer größer, und die Zahl der geistigen Führer wuchs von Generation zu Generation. Die meisten chassidischen Gruppen wurden nach den Orten benannt, aus denen sie stammten – z. B. die Chassidim von Kotsk nach der Stadt
Kock
deu. Kotzk, deu. Kotsk, pol. Kocsko, pol. Koczsko, pol. Kocko, lat. Cocsk

Kotzk ist eine Kleinstadt im Osten Polens (Bevölkerungszahl 2022: 2.888), etwa 45 Kilometer nördlich von Lublin und 120 Kilometer südöstlich von Warschau. Während der Dritten Teilung Polens (1795) wurde Kotzk von Österreich besetzt. 1809 wurde es in das kurzlebige polnische Herzogtum Warschau integriert. Nach dem Wiener Kongress 1815 fiel es an Russland als Teil des sogenannten Kongresspolens. Nach dem Ersten Weltkrieg, als Polen seine Unabhängigkeit wiedererlangte, gehörte Kotzk zur Woiwodschaft Lublin.
Im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts fanden bei Kotzk mehrere Schlachten statt, darunter die letzte Schlacht (2-6. Oktober) der regulären polnischen Armee nach dem deutschen Angriff auf Polen 1939.

(Polen),1 die Chassidim von Bratslav nach der Stadt
Braclav
eng. Bratslav, pol. Bracław, rus. Брацлав, yid. Breslov, yid. בראָסלעוו, yid. Broslev, rus. Braclav, ukr. Брацлав

Brazlav ist eine Siedlung städtischen Typs (Bevölkerung 2021: 4.872) in der ukrainischen Oblast Winnyzja. Sie entstand an einer Grenzburg am Südlichen Bug im Fürstentum Galizien-Wolhynien. Durch seine Lage in einem von Polen-Litauen im Westen und den tatarischen Reichen im Osten umkämpften Gebiet stellte Brazlav im Mittelalter und in der frühen Neuzeit ein wichtiges Machtzentrum. Im 16.-18. Jahrhundert war der Ort eine Woiwodschaftshauptstadt. Noch bevor der Verleihung der Magdeburger Stadtrechte im Jahr 1569 war Brazlav ein bedeutendes Zentrum des jüdischen Lebens. Hier wirkte zwischen 1802 und 1810 Rabbi Nachman, der Begründer eines der wichtigsten Zweige des Chassidismus.
Nach den Zerstörungen im Großer Nordischer Krieg (1700-1721) und der Eiverleibung in Russland während der Zeiten Teilung Polen-Litauens verlor Brazlaw zunehmend an Bedeutung.

(Ukraine), die Chassidim von Satmar nach der Stadt 
Satu Mare
hun. Szatmárnémeti, yid. סאטמאר, yid. Satmar, deu. Sathmar

Satu Mare ist eine Großstadt im Nordwesten Rumäniens. Sie wird von 102.000 Einwohner:innen bewohnt und liegt in der historischen Region Sathmar. Die Stadt liegt in unmittelbarer Nähe der Grenze zu Ungarn am Fluss Someș.

(Rumänien).
Der Chassidismus ist jedoch kein historisches Relikt, sondern stellt heute eine lebendige Sammelbewegung dar. Der als Rebellion gegen die Tradition angetretene Chassidismus ist zur Verkörperung der Tradition in einer modernen, ungewissen Welt geworden - vielleicht ist dieser Bezug auf etwas Beständiges, das allen Widrigkeiten trotzt, der Schlüsselfaktor für seine Attraktivität in der heutigen Gesellschaft. Jüngsten Berechnungen zufolge gibt es weltweit 2.100.000 Haredi (d. h. „ultraorthodoxe Jüd:innen“), die 14 % der gesamten jüdischen Bevölkerung ausmachen, wobei die chassidischen Gruppen einen beträchtlichen Teil davon bilden.2 Professor Marcin Wodzinski von der Universität Wrocław schätzt, dass die Chassidim im Jahr 2017 einen Anteil von 5 % am Weltjudentum ausmachten.3 Heutzutage gibt es mehr als 100 chassidische Gruppen, von denen die Satmarer Chassidim, die Chabad-Chassidim, die Ger-Chassidim, die Belz-Chassidim und die Bratslaw-Chassidim die zahlenmäßig größte Gruppe sind. Obwohl sie alle als Chassidim bezeichnet werden, bewahrt jede dieser Gruppen ihre eigene Identität in vielen wichtigen Fragen, wie z.B. in ihrer Einstellung zu Israel und zur Welt außerhalb ihrer Gemeinschaften.
So wie der Chassidismus bedeutende Wandlungen durchgemacht hat - von seiner Blüte im 19. Jahrhundert bis zu seinem Niedergang während des Holocaust und der Wiedergeburt danach, so haben auch die Pilgerfahrten zu den Tzaddikim (Pluralform von „Tzaddik“, die gemeinhin im Hebräischen verwendet wird) sich als wichtiges Merkmal des Chassidismus gewandelt. Ein lebender Tzaddik ist eine allgemeine Voraussetzung für die Existenz einer chassidischen Gruppe, und es gibt Pilgerfahrten zu lebenden Rebben - solche Anblicke kann man, wie eingangs erwähnt wurde, in Israel und den USA erleben. Es gibt jedoch mindestens zwei bekannte Gruppen ohne einen lebenden Tzaddik - die Bratslaw-Chassidim (seit 1810) und die Chabad-Chassidim (seit 1994), die aufgrund der Rolle und der Heiligkeit des verstorbenen Tzaddik nicht einmal versucht haben, einen neuen geistlichen Führer zu finden. In Ermangelung eines lebenden Tzaddiks sind Pilgerfahrten zu verstorbenen Oberhäuptern für die Identität der Anhänger dieser beiden Gruppen noch essenzieller geworden.
Der allgemeine Ausbau des Verkehrswesens und der Fall des „Eisernen Vorhangs“ in den späten 1980er Jahren förderten das Reisen und die Meinungsfreiheit, einschließlich der Möglichkeit, Pilgerfahrten in Gebiete zu unternehmen, die zuvor für Ausländer unzugänglich waren. Einige Gräber werden nur von Vertreter:innen einer bestimmten chassidischen Gemeinschaft besucht (wie z. B. in
Belz
deu. Bels, pol. Bełz, ukr. Белз, yid. בעלז

Bels ist eine Kleinstadt (Bevölkerungszahl 2021: 2.191) in der Oblast Lemberg in der Westukraine, an der Grenze zu Polen zwischen Solokìâ (einem Nebenfluss des Bug) und seinem Zufluss Ričycâ.

 von Belzer Chassidim), während andere zu einem Ziel für mehrere Gruppen geworden sind. Das bekannteste und beliebteste chassidische Reiseziel in Europa bildet die Ruhestätte des Führers der Bratslaw-Chassidim, Rebbe4 Nachman, in
Umanʹ
pol. Humań, yid. אומאַן, ukr. Умань, rus. Умань, rus. Umanʹ

Uman‘ (Bevölkerungszahl 2021: 81.525) ist die Hauptstadt des gleichnamigen Rajons in der Oblast Tscherkassy in der Zentralukraine. Die Stadt liegt im Osten der historischen Region Podolien, am Ufer des Flusses Umanka.
Die Stadt ist ein Wallfahrtsort für chassidische Juden und ein wichtiges Zentrum der Gartenbauforschung mit dem Dendrologischen Park Sofiìvka und der Universität für Gartenbau.

in der Zentralukraine. Sie zieht auch unterschiedlichste Interessent:innen an, das nicht notwendigerweise einer chassidischen Gruppe angehören muss. Eine der Erklärungen für dieses Phänomen liegt in der Auslegung der Lehren von Rebbe Nachman, wie z.B. dass jeder, der Erlösung sucht, willkommen ist. Dies hat dazu geführt, dass verschiedene Gruppen so genannter „Neuer Chassidim“ mit ihren eigenen Ritualen und Eigenheiten innerhalb des Judentums entstanden sind. Der Höhepunkt der Wallfahrt in Uman findet während Rosch Haschana statt, dem Neujahrsfest nach dem jüdischen Kalender (September-Oktober). Die offizielle Statistik verzeichnete im Jahr 2019 nicht weniger als 35.000 Pilger:innen. Aufgrund dieser großen Zahl von Ankömmlingen mit unterschiedlichen Hintergründen konnte die Wallfahrt nach Uman in den Medien einen Ruf als Erlebnisreise erlangen.
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Man könnte dieses übergreifende Phänomen, das mit Blick auf die chassidischen Heiligtümer von Interesse ist, als „Rückkehr und Erlösung“ interpretieren – das bedeutet eine Möglichkeit, zu den Wurzeln zurückzukehren (in Erinnerung an die lange jüdische Geschichte dieser Länder) und/oder Erlösung von der Sünde (der Glaube, dass ein bestimmter Tzaddik besondere Macht habe, Gebete an Gott zu überbringen). Für die Chassidim von Bratslav gehört diese Idee der Erlösung zu den Kerngedanken der Pilgerfahrt, so die überlieferten Worte ihres geistigen Führers:


„Wenn meine Tage vorüber sind und ich diese Welt verlasse, werde ich noch für jeden Fürsprache einlegen, der an mein Grab kommt, zehn Psalmen spricht und einen Pfennig für wohltätige Zwecke spendet. Wie groß seine Sünden auch sein mögen, ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, um ihn zu erretten und zu reinigen, und zwar quer durch die gesamte Schöpfung.“

The Essential Rabbi Nachman. (2006). Übersetzt von Avraham Greenbaum. Jerusalem: Azamra Institute, S. 487.
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Warum also gehen Chassidim zu den Gräbern, und was tun sie dort? Besuche bei den Rebben der Vorfahren verbinden sie mit ihrer Vergangenheit und stärken symbolisch die Kontinuität der Bewegung. Es wird angenommen, dass eine rechtschaffene Person auch nach ihrem Tod noch den Bedürftigen helfen kann; am Todestag einer rechtschaffenen Person gibt es eine besondere „Öffnungszeit“ für alle Fürbitten. Die bekannten Daten der Pilgerfahrt zu einer bestimmten historischen Figur sind also in der Regel ihre jeweiligen Todestage. Zum Beispiel ist dies der Fall beim zweitbeliebtesten chassidischen Grab in Europa - der Ruhestätte von Rebbe Elemelech, der in
Leżajsk
yid. ליזשענסק

Leżajsk ist eine Kreisstadt (Bevölkerungszahl 2022: 12.888) in der Woiwodschaft Karpatenvorland im Südosten Polens. Im Zuge der ersten Teilung Polens (1772) wurde Leżajsk in das Habsburger Reich eingegliedert und blieb bis 1918 Teil des österreichischen Galiziens. 1809 wurde die Stadt ins Herzogtum Warschau aufgenommen, wurde aber bald von Österreich zurückgewonnen. Ab 1918 gehörte die Stadt dem wieder unabhängigen Polen. Leżajsk ist berühmt für die Bernadiner-Basilika und das Bernadiner-Kloster. Wegen des Grabs von Elimelech, dem berühmten chassidischen Rabbi des 18. Jahrhunderts, ist der jüdische Friedhof in Leżajsk ein Wallfahrtsort für Juden aus der ganzen Welt.

, Polen, begraben liegt. An seinem Todestag pilgern meist mehrere tausend Gläubige dorthin. Die meisten von ihnen reisen ohne Übernachtung in Leżajsk ab, was einen Unterschied zu Uman darstellt, wo die Pilger:innen in der Regel einige Tage verbringen.
Die vergleichsweise unkomplizierte Art des Reisens beschleunigte die Tendenz zu einem ganzjährigen Pilger:innenaufkommen. Die Pilger:innen können in kleineren Gruppen zu verschiedenen Anlässen anreisen - zu einem jüdischen Feiertag, zum Sabbat (Samstag, dem heiligen Tag der Ruhe und der Vereinigung mit Gott) oder zu einem individuell besonderen Datum für eine:n Pilger:in usw. Es gibt organisierte Touren, darunter auch einige Schultouren für diejenigen, die bereit sind, unter der Leitung eines religiösen Führers zu pilgern. Ein relativ neuer Trend bei Pilgerreisen zu den chassidischen Heiligtümern ist die zunehmende Präsenz weiblicher Pilgerinnen. Männliche und weibliche Pilger:innen reisen in der Regel getrennt.
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Die Pilger:innen kommen und beten – es können allgemeine Gebete wie Tehilim (Psalmen, aus dem Hebräischen), private Gebete oder spezifische Gebete im Namen eines bestimmten Rabbiners sein (wie die erwähnten Zehn Psalmen bei Rebbe Nachman). Es wird angenommen, dass die Gebete zu Gott viel schneller erhört werden, ganz so als ob die Seele des Tzaddiks an der Begräbnisstätte anwesend wäre, was diese außergewöhnlich heilig macht. Es gibt auch eine Tradition, schriftliche Bitten in der Nähe des Grabes zu hinterlassen, zusammen mit dem Brauch, ähnliche Bitten zu einem lebenden Tzaddik zu bringen – vor allem ist es wichtig zu beachten, dass alle Bitten an Gott gerichtet sind; ein Tzaddik ist nur ein Vermittler zwischen Gott und den Chassidim.
Die Pilgerfahrt zur Grabstätte des Tzaddik kann für einige Gruppen zu einem einmaligen Ziel werden, für andere zu einer regelmäßigen Mission. Das anschaulichste Beispiel dafür sind wieder einmal die Bratslaw-Chassidim und ihr Eifer, Uman zu besuchen. Weder die Coronavirus-Pandemie, die 2020 ihren Höhepunkt erreichte, noch der 2022 beginnende Krieg Russlands gegen die Ukraine konnten sie davon abhalten, ihr geistliches Oberhaupt aufzusuchen. Die Logik der chassidischen Pilger:innen unterscheidet sich von dem, was man als säkulare Logik bezeichnen könnte – der spirituelle Mehrwert ihrer Pilgerreise zum Rebben und der Glaube an den Schutz Gottes wiegen mehr als alle anderen weltlichen Argumente hinsichtlich der Gefahren. Darüber hinaus sehen viele dieser Pilger:innen Beschwerlichkeiten als einen wesentlichen Teil spiritueller Arbeit an. Interessanterweise zog die Pilgerfahrt nach Leżajsk im März 2023, die von vielen Menschen von außerhalb aus Sicherheitsgründen als „Ersatz“ für Uman angesehen wurde, viele Pilger:innen auf ihrem Weg nach Uman an. Das bedeutet, dass die Idee des „Ersatzes“ bei den chassidischen Pilgerfahrten eher nicht funktioniert.
Gleichzeitig sollten diese beiden zweifellos zentralen Ziele als Teil einer größeren Geschichte gesehen werden. Es gibt so genannte „chassidische Routen“, die gleich mehrere wichtige Heiligtümer auf einer Strecke umfassen. Ein gutes Beispiel hierfür ist die von der Stiftung für die Erhaltung des jüdischen Erbes in Polen empfohlene Route, die Ziele wie 
Lublin
deu. Lublin

Lublin ist eine Großstadt im östlichen Polen. Sie ist Hauptstadt der gleichnamigen Woiwodschaft und wird von knapp 340.000 Einwohner:innen bewohnt. In Lublin liegt die renommierte Katholische Universität Lublin Johannes Paul II.

,
Dynów

Dynów ist eine Kleinstadt im Kreis Rzeszów (Bevölkerungszahl 2022: 6.009) in der Woiwodschaft Karpatenvorland, Polen. Sie wurde erstmals 1423 in schriftlichen Quellen erwähnt. Nach der Ersten Teilung Polens (1772) fiel Dynów ans Habsburger Reich eingegliedert und blieb bis 1918 Teil des österreichischen Galiziens. Nach dem Ersten Weltkrieg gehörte Dynów zu wiederhergestelltem Polen, büßte jedoch seine Stadtrechte ein, die es 1947 wiedererlangte.

,
Łańcut
deu. Landshut, deu. Lancut, deu. Lanchth, deu. Landssuth, deu. Lanczuth, deu. Landeshut

Łańcut ist eine Stadt im Südosten Polens mit 18.004 Einwohnern. Sie liegt in der Woiwodschaft Unterkarpaten (seit 1999) und ist die Hauptstadt des Kreises Łańcut. In der Zwischenkriegszeit war Łańcut eine Kreisstadt, die administrativ zur Woiwodschaft Lwów gehörte. Vor dem Zweiten Weltkrieg gab es in Łańcut eine dynamische jüdische Gemeinde, die etwa ein Drittel der Bevölkerung der Stadt ausmachte.

, Leżajsk usw. umfasst. Eine ähnliche bekannte Route in der Ukraine umfasst
Medžibìž
pol. Międzybóż, ukr. Меджибіж, yid. Mežibiž, yid. מעזשביזש, pol. Międzybuż, pol. Międzyboż

Medschybisch (Bevölkerungszahl 2021: 1.237) liegt in der westukrainischen Oblast Chmelnyzkyi. Schon kurz nach der Verleihung der Stadtrechte 1593 etablierte sich Medschybisch als eine der wichtigsten Handelsstädte im östlichen Teil von Polen-Litauen, wobei sie von der Lage nah der Grenzen zu Russland und dem Osmanischen Reich profitierte. Die geografische Nähe zog allerdings auch zahlreiche Konflikte mit sich, die in einer Phase osmanischer Herrschaft gipfelten. 1772 wurde Medschybisch in der ersten Teilung Polens von Russland annektiert.
Von seiner multikulturellen und -ethnischen Bevölkerung (Polen, Juden, Ukrainern, Armeniern, Griechen, Deutschen, Tataren) waren es vor allem die Chassiden, die den Ort nachhaltig prägten. Der Begründer dieser mystischen Strömung im Judaismus Israel ben Elieser und einige seiner Schüler sowie später Rabbi Nachman von Brazlaw wirkten hier.
Der sich bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts abzeichnende Niedergang führte schließlich nach 1924 zur Degradierung des Orts zu einer Siedlung städtischen Typs.

,
Berdičìv
pol. Berdyczów, deu. Berdytschiw, ukr. Berdychiv, ukr. Berdytschiw, yid. Bardičev, yid. באַרדיטשעװ, rus. Berdičev, rus. Бердичев, ukr. Бердичів, deu. Berdyczow, deu. Berdytschew

Berdičìv ist eine Stadt (Bevölkerung 2021: 73.046) in der Oblast Žìtomìr im Norden der Ukraine. Berdičìv war ein wichtiges Handels- und Bankenzentrum, verlor jedoch einen Großteil seiner wirtschaftlichen Macht, nachdem das Bankwesen Mitte des 19. Jahrhunderts nach Odesa abwanderte. Die Stadt bildete auch ein wichtiges Kulturzentrum sowohl für die polnische als auch für die jüdische Bevölkerung. Hier wurde 1777 die erste polnische Enzyklopädie für Kinder und Jugendliche gedrückt, und die zu den größten jüdischen Gemeinden Russlands gehörende Mehrheit der Stadtbevölkerung trug im 18. Jahrhundert zur Entwicklung des Chassidismus bei.

, Bratslav, Uman.
Es gibt einige chassidische Gruppen, die keine Pilgerfahrt in das Land ihrer Vorfahren befürworten (wie die Dynastie der Ger-Chassidim, die aus
Góra Kalwaria
pol. Nowa Jerozolima, pol. Góra, yid. Ger, yid. גער, yid. Gur, . Guer

Góra Kalwaria ist eine Kleinstadt (Bevölkerungszahl 2022: 11.807) an der Weichsel in der Woiwodschaft Mazowien im östlichen Zentralpolen. Die heutige Stadt wurde an der Stelle des während der schwedischen Besatzung im Jahr 1666 vollständig zerstörten Dorfs Góra unter dem Namen Nowa Jerozolima ("Neu Jeusalem") auf dem Grundriss eines christlichen Kreuzes angelegt. Juden durften sich in der Stadt, die als Passions-Wallfahrtsort rein christlich sein sollte, erst 1802 ansiedeln. Bald stellten die Juden die dominierende Bevölkerungsgruppe in der Stadt, und Góra Kalwaria wurde zu einem der wichtigsten Zentren des chassidischen Judentums.

 stammt) und die Heiligkeit des Landes Israel betonen; es gibt andere Gruppen, die dem Land Israel gegenüber kritisch eingestellt sind (die sichtbarste ist die Gruppe der Satmar-Chassidim mit Sitz in den USA). Selbst innerhalb einer chassidischen Gruppe kann es viele Zwischentöne und Nuancen geben. Es kann gesagt werden, dass bei der Mehrheit der chassidischen Gruppen mit einem lebenden geistigen Führer die Pilgerfahrten und das allgemeine Leben von dessen Weisungen abhängen, während bei den Gruppen ohne lebenden geistigen Führer (wie den Bratslaw-Chassidim und den Chabad-Chassidim) die Frage der Pilgerfahrt eher individuell entschieden wird. Die wachsende Zahl der Pilger:innen bildet jedoch gegenwärtig einen allgemeinen Trend, der für sich selbst spricht.
Zielort und Dauer der Pilgerreise hängen nicht nur von spirituellen Aspekten ab. Das Vorhandensein von Infrastruktur (z.B. Verfügbarkeit von koscheren Lebensmitteln und Hotels), die Verfügbarkeit von Transportmitteln vom und zum Flughafen, die Preise einer möglichen Reise und die Nähe zu anderen potenziellen Pilgerzielen spielen eine nicht weniger entscheidende Rolle für die Entwicklung der Pilgerwege. In dieser Hinsicht kann man sagen, dass auch die Erlösung eine Menge praktischer Variationen mit sich bringt.

Siehe auch