Die jüdische Gemeinde von Szeged in Ungarn blickt auf ein reiches sich über zwei Jahrhunderte erstreckendes Erbe zurück. Als Szeged das Hauptdeportationszentrum der Region war, fiel ein Großteil der jüdischen Bevölkerung dem Holocaust zum Opfer. Ziel des vorliegenden Artikels ist es, die von den Einheimischen errichteten Holocaust-Denkmäler vorzustellen.
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Dem Gedenken an Eszter Gantner r z" l gewidmet

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Die jüdische Gemeinde von 
Szeged
deu. Szegedin, ron. Seghedin, deu. Segedin

Szeged ist die drittgrößte Stadt Ungarns und liegt nahe der südlichen Grenze Ungarns. Die ungarische Grenze zu Serbien befindet sich direkt vor der Stadt. Im 14. Jahrhundert war Szeged ein wichtiger strategischer Punkt in Südungarn, insbesondere im Zusammenhang mit der Expansion des Osmanischen Reiches. Auch während der ungarischen Revolution von 1848 spielte die Stadt eine wichtige Rolle. Im Juli 1849 war sie der letzte Sitz der Revolutionsregierung. Nach dem Ersten Weltkrieg verlor Ungarn seine südlichen Gebiete an Serbien, was zur Folge hatte, dass Szeged seine Bedeutung als regionales Zentrum in Ungarn teilweise verloren hat.

in Ungarn pflegt ihr bedeutendes kulturelles Erbe seit Jahrhunderten.1  Während des Holocausts verlor Szeged auf tragische Weise einen großen Teil seiner jüdischen Bevölkerung. Als Deportationszentrum für das Komitat 
Csongrád

Csongrád-Csanád liegt in Südungarn, an der Theiß, an der Grenze zu Serbien und Rumänien. Es grenzt an die ungarischen Komitate Bács-Kiskun, Jász-Nagykun-Szolnok und Békés. Der Verwaltungssitz des Komitats Csongrád-Csanád ist Szeged.

und Teile der Region 
Batschka
. Бачка, slk. Báčka, hun. Bácska, srp. Бачка, srp. Bačka, hrv. Bačka, eng. Bačka

Bačka oder Bácska ist ein geografisches und historisches Gebiet in der Pannonischen Tiefebene, das im Westen und Süden von der Donau und im Osten von der Theiß begrenzt wird. Die Region wird von Serbien und Ungarn geteilt. Der größere Teil des Gebiets liegt in der serbischen Region Vojvodina, und Novi Sad, die Hauptstadt der Vojvodina, befindet sich an der Grenze zwischen Bačka und Syrmien. Die kleinere nördliche Hälfte des geografischen Gebiets liegt im Kreis Bács-Kiskun in Ungarn.

war Szeged von immensen Zerstörungen betroffen. In scharfem Kontrast hierzu blieben die Synagoge und die meisten Archive der Stadt vergleichsweise unversehrt, da sie nicht Zielscheiben der Zerstörung waren.
Die Neue Synagoge von Szeged, eine bedeutende europäische Synagoge, wurde 1899-1903 von dem berühmten Architekten Lipót Baumhorn (1860-1932) erbaut. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Synagogenhalle in eine Holocaust-Gedenkstätte umgewidmet. Auf dem jüdischen Friedhof am Stadtrand von Szeged wurden fünf kleinere Holocaust-Denkmäler errichtet. Im Jahr 2018 wurde vor der Kathedrale eine Statue eingeweiht, die die jüdisch-christlichen Beziehungen während des Holocausts symbolisiert. Auch Stolpersteine und Wandplaketten erinnern an den Holocaust, ebenso wie die neu eingerichtete digitale Gedenkwebsite.
Trotz großer Verluste hatte Szeged im Vergleich zu anderen Städten weniger Opfer zu beklagen: Von den rund 4.000 Deportierten kehrten etwa 1.700 zurück. Die Zeit unmittelbar nach dem Holocaust in Ungarn war geprägt von Verlust, tiefer Trauer und der gewaltigen Aufgabe, das zerstörte Leben wieder aufzubauen. Die Überlebenden sahen sich mit zahlreichen Herausforderungen konfrontiert, unter anderem mit bedeutsamen Aufgaben rund um das Gedenken und die Festlegung des Datums und des Ortes, an dem den Opfern gedacht werden sollte. Seit 1947 gedenkt die Gemeinschaft jährlich der Opfer und betont das kollektive Andenken und die Solidarität unter den Überlebenden. Die Festlegung eines gemeinsamen Jahrestages erleichterte den Umgang mit Ungewissheiten hinsichtlich des Todes von Familienangehörigen. Dieser Übergang zur kollektiven Trauer wurde von jüdischen Überlebenden im institutionellen Rahmen der jüdischen Gemeinschaft entwickelt und förderte ihre Einheit.2  Im vorliegenden Beitrag sollen die von der jüdischen und nicht-jüdischen Bevölkerung Szegeds errichteten Holocaust-Gedenkstätten vorgestellt werden.
Gedenkhalle der Neuen Synagoge von Szeged und das neue digitale Denkmal
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Die Bestattungsgesellschaft, Chewra Kadischa, wurde im Oktober 1946 wiedergegründet und begann im Januar 1947 mit der Beschaffung von Mitteln für die Märtyrer-Gedenkhalle. In der Märtyrer-Gedenkhalle der Neuen Synagoge von Szeged wurden im Februar 1947 zwei Särge aus schwarzem Granit enthüllt. Diese Halle war zuvor zu ihren Ehren umbenannt worden. Die Gedenkmauer, die am 21. September 1947 eingeweiht wurde, erregte die Aufmerksamkeit von Delegierten aus dem ganzen Land. Rabbiner Dr. Jenö Frenkel hielt eine bewegende Gedenkrede, die gefolgt wurde von Reden von Lajos Fenyö als Vertreter des Gedenkkomitees, Márton Stern als Vertreter der jüdischen Gemeinde von Szeged, Lajos Stockier als Vertreter des Nationalbüros der ungarischen Israeliten und Bürgermeister Leó Dénes im Namen der Stadt. Die Zeitung Délmagyarország berichtete über die Veranstaltung. Die Marmortafeln in der Gedenkhalle tragen die Namen von 1.664 deportierten Personen und betonen ihren Status als Deportierte und nicht als Verstorbene. „Es ist richtig, dass die Deportierten in den Namenslisten nicht als Tote erwähnt werden“, schließt ein Artikel im Bulletin der Nationalen Rabbinervereinigung, da 1946 noch die Hoffnung bestand, dass zumindest einige von ihnen zurückkehren würden.3  Später kamen noch insgesamt 1.900 weitere Namen hinzu, was allerdings möglicherweise nicht die Gesamtzahl der Opfer von Szeged wiedergibt. Einige der Opfer kamen ohne Hinterbliebene oder offizielle Vermisstenmeldungen um. Die Marmortafeln enthalten auch die Namen derjenigen, die nicht aus Szeged, sondern aus anderen Orten deportiert wurden. In der Synagoge wird auch der Männer gedacht, die bei der Zwangsarbeit ums Leben kamen, sowie der Opfer der Deportationen aus Bačka und Kistelek.4 
Die Gedenkhalle der Synagoge von Szeged kann in 3D betrachtet werden.
Szeged Holocaust Memorial – finanziert von der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) – ist ein neu eingerichtetes digitales Denkmal, das als Gedenkstätte dient. Sie enthält die Namen von mehr als 10.000 Personen, die während des Zweiten Weltkriegs aus den Regionen Szeged und Bačka deportiert wurden; auch jene, die in der Gedenkhalle geehrt werden. Diese durchsuchbare Datenbank ermöglicht ein globales Gedenken, überbrückt Entfernungen und stellt sicher, dass die Namen der Opfer nie in Vergessenheit geraten. Stetige Updates verbessern die Genauigkeit und Zugänglichkeit der Informationen, um die Reichweite des Gedenkens über die physischen Grenzen hinaus zu erweitern.
Denkmale auf dem Jüdischen Friedhof Szeged
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Zur reichen Tradition jüdischer Friedhöfe gehört die Aufstellung von Denkmälern für gefallene Helden, eine Praxis, die nach dem Ersten Weltkrieg vor allem zur Ehrung jüdischer Soldaten entstand. Im Einklang mit dieser Tradition finden sich auf dem jüdischen Friedhof in Szeged auch Denkmale, die zum Andenken der Opfer des Holocaust errichtet wurden. Auf diese Weise wird an fünf Stellen der Opfer des Holocausts gedacht.
• Beim Ausheben von Gräbern in der Nähe der Zeremonienhalle des jüdischen Friedhofs von Szeged Anfang der 2000er Jahre entdeckten Arbeiter:innen menschliche Überreste. Diese Überreste sind von Personen, die während der Liquidierung des Szegediner Ziegelei-Ghettos im Juli 1944 ums Leben kamen. Da sie nahe der Oberfläche ohne identifizierende Grabsteine begraben wurden, sind ihre Namen unbekannt. Ihr Andenken wird jedoch durch einen Garten mit frischen Blumen und einer schwarzen Marmortafel geehrt, die von einem überlebenden Kind gestiftet wurde. Die Inschrift auf der Gedenktafel lautet: „Hier ruhen unsere Brüder, die 1944 im Ghetto der Ziegelfabrik starben. Ihre Namen sind nur dem Elohim bekannt“. Das von Dr. István Salamon in Auftrag gegebene Denkmal wurde 2004 fertiggestellt.
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• Die Namen von 32 in der Ziegelei ums Leben Gekommenen, deren Identität festgestellt werden konnte, sind an der Innenwand der Zeremonienhalle des jüdischen Friedhofs von Szeged zu sehen. Ihre Leichen sind unweit von hier begraben.
• Das Randegg-Denkmal ist auf dem Friedhof das größte Denkmal zu Ehren der Opfer des Holocaust. Es ist die letzte Ruhestätte von 99 Jüd:innen aus Szeged und den umliegenden Städten. Am 15. April 1945 wurden 100 Juden während eines Marsches von den Lagern Stangental und Kerschenbach zum Konzentrationslager Mauthausen in Randegg auf tragische Weise ermordet. Dem Überlebenden Adolf Glück gelang es, unter den Leichen der gefallenen Opfer hervorzukommen. Die Leichen aus Randegg wurden 1947 in einem Gemeinschaftsgrab in Szeged beigesetzt und stehen symbolisch für das grausame Schicksal der Deportierten. Im März 1948 ergriff die jüdische Gemeinde die Initiative, um einen Gedenkstein aufzustellen, der die Fundstelle markiert.5 Das Randegger Märtyrerdenkmal, das an die 99 Opfer erinnert, wurde im Juni 1950 eingeweiht.6  Bei der Zählung der Namenstafeln auf dem Grab im Jahr 2022 stellte sich heraus, dass sich die Gesamtzahl der Namen auf 100 beläuft. Daher sind weitere Untersuchungen erforderlich, um die Identitäten der Ermordeten zu rekonstruieren.
• Links der Säule befindet sich eine Gedenktafel für jene Jüd:innen, die beim ersten Zwangsarbeitsdienst ums Leben kamen.
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• Rechts der Säule steht auf der Ostseite des Friedhofs eine besondere Gedenkstätte. Im Juli 1946 wurde mit einer symbolischen Beerdigungszeremonie das Andenken von 3.000 Opfern des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau gewürdigt. Zwei Särge wurden beigesetzt – einer mit RIF-Seife, der andere mit Fetzen von Thora-Rollen, die in einem Müllhaufen gefunden wurden. Das Akronym für Seife, von dem gemeinhin angenommen wird, dass es Reichs-Juden-Fett heißt, stand in Wirklichkeit für Reichsstelle für Industrielle Fettversorgung.7 
Neben Mahnmalen werden in Ungarn traditionell auch die Namen der Holocaust-Opfer auf den Familiengrabsteinen verewigt. Auch in Szeged gibt es viele solcher Gräber. Ein Video (mit englischen Untertiteln) über den jüdischen Friedhof und die Gedenkstätten in Szeged ist verfügbar.
Der Holocaust als Boot
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Das erste Holocaust-Mahnmal Ungarns, das von einer katholischen Diözese und nicht von der Regierung oder einer Gemeinde errichtet wurde, ist in Szeged zu sehen. Es wurde 2014 anlässlich des 60. Jahrestags der Deportationen enthüllt. László Kiss-Rigó, Bischof von Szeged-Csanád, beschreibt die Komplexität der Emotionen, die das Mahnmal widerspiegeln soll, wie folgt: „Das Werk des Bildhauers Jenö Kovács drückt die Frage aus, vor der wir stehen: Warum konnten nicht mehr Menschen mehr tun, um ihre Mitmenschen zu retten. Die Arche von Szeged zeigt die beiden Brüder, das Christentum und das Judentum. Der ältere Bruder wird von Macht, Tyrannei und Gemeinheit in den Untergang getrieben, während der jüngere Bruder – der zweite Bund – hilflos bettelt, aber nicht mehr tun kann als das.“8  Die Darstellung von Katholizismus und Judentum als Brüder in der Holocaust-Gedenkstätte mag auf den Besuch von Papst Johannes Paul II. in der Großen Synagoge von Rom im April 1986 anspielen. Während seines Besuchs bezeichnete er das Judentum als das ältere der beiden Geschwister und betonte ihre Verbundenheit und gemeinsame Geschichte.
Das Mahnmal ist aufgrund seines einfachen, schlichten Stils kritisiert worden, der den künstlerischen Standards der Epoche, an deren Schrecken es erinnern soll, treu bleibt. Der Versuch des Künstlers, eine klare Botschaft zu vermitteln, verstärkt unbeabsichtigt klischeehafte und stereotype Darstellungen und untergräbt damit möglicherweise die beabsichtigte Wirkung des Kunstwerks. In demselben Artikel wurden auch Bedenken hinsichtlich der Vorstellung geäußert, dass der jüngere Bruder nicht in der Lage ist, zu helfen, da dies als Entschuldigung interpretiert werden kann.9
Stolpersteine und das Mahnmal am Hauptbahnhof
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Der erste Stolperstein in Szeged wurde im Frühjahr 2007 zum Gedenken an József Hollender verlegt, der während der Deportation ums Leben kam. Derzeit gibt es 19 Stolpersteine im Stadtzentrum, rund um die Gutenbergstraße, dem ehemaligen Ghetto von Szeged. Die Stolpersteine sind das Werk des deutschen Bildhauers Gunter Demnig: Kupfertafeln (10 x 10 cm), die zu Ehren der Opfer des Nationalsozialismus auf Pflastersteinen verlegt und vor den ehemaligen Wohnhäusern der Opfer in den Gehweg eingelassen werden. Demnig betont, dass die Stolpersteine nicht als Mahnmale gedacht sind. Vielmehr sollen sie Erinnerungen wachrufen. Der Zeitzeug:innenbericht von Vera Pick (geb. 1933 in Wien, Enkelin von Márk Pick, dem Gründer der Pick-Salamifabrik in Szeged) gibt wertvolle Einblicke über die Ereignisse im Ghetto, insbesondere im Haus der Familie Pick.
Anlässlich des 60. Jahrestages der Deportationen weihte die Ungarische Evangelische Gemeinschaft, die für ihre historisch engen Beziehungen zu den ungarischen jüdischen Gemeinden bekannt ist, und das John Wesley Theological College, das der Gemeinschaft untersteht, gemeinsam eine Gedenktafel am Hauptbahnhof von Szeged ein. Ihre Vertreter:innen organisieren jährlich eine Gedenkveranstaltung an diesem Bahnhof, und das obwohl die Juden aus Szeged von einem anderen Bahnhof (Rókus) aus deportiert wurden.
Jährliche Gedenkfeiern
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Am Eingang des ehemaligen Ziegelei-Ghettos (Cserzy Mihály Straße) wurde 2004 ein Denkmal errichtet. Obwohl die physischen Spuren des Ghettos nicht mehr vorhanden sind, erinnert das Denkmal eindringlich an diesen historischen Ort. Die jährliche Gedenkveranstaltung der jüdischen Gemeinde und von Vertreter:innen der Stadtverwaltung, des Staates und anderer Organisationen nimmt hier ihren Anfang. Es ist Brauch in Ungarn, der Opfer an dem Sonntag zu gedenken, der dem Jahrestag der Deportation eben dieser Gemeinschaft am nächsten liegt. In Szeged findet diese Gedenkveranstaltung am letzten Sonntag im Juni statt, an der Vertreter:innen der jüdischen Gemeinde von Szeged, der Stadtverwaltung, anderer religiöser Gemeinschaften und der Regierung teilnehmen. In der Regel nehmen durchschnittlich zwischen 40 und 50 Personen an diesen Veranstaltungen teil.
Im Jahr 2021 entwickelte Márton Kristóf Börzsönyi, Student an der Universität Szeged, ein Pilotprojekt mit dem Titel „Holocaust-Gedenkspaziergang in Szeged“, bei dem die im vorliegenden Artikel beschriebenen Stationen vorgestellt werden und das unter anderem der Schüler:innenbildung dient.
Fazit
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78 Jahre sind seit den Deportationen vergangen, aber bis heute gibt es keine vollständige und zuverlässige Liste der Deportierten. Derzeit versucht ein internationales Forscher:innenteam unter der Leitung der Autorin dieses Artikels in einem internationalen Projekt (finanziert von der Claims Conference und der IHRA), die Transportlisten der jüdischen Opfer zu rekonstruieren, die in den letzten Tagen des Juni 1944 aus Szeged deportiert worden sind. Dies ist ein weiterer Schritt zur Erfüllung von Jesaja 56: 5: „Ich will ihnen einen ewigen Namen geben, / der nicht vergehen soll.“10

Siehe auch