In zahlreichen Städten des östlichen Europa waren vor allem jüdische Verleger:innen auf dem Postkartenmarkt erfolgreich. Der Beitrag stellt den sozialhistorischen Hintergrund vor und fragt, ob sich gesellschaftliche Positionierungen auf die dargestellten Bilderwelten des Urbanen auswirkten.
Ansichtspostkarten im östlichen Europa: Das klassische Kleingewerbe
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Mit dem Aufkommen des Massenmediums Ansichtskarte zum Ende des 19. Jahrhunderts eröffneten sich neue Möglichkeiten, Bilder von Städten zu prägen und zu verbreiten. Postkartenproduzenten schrieben an den visuellen Narrativen der sich in dieser Phase ebenfalls rasant verändernden Städte mit und verkauften massenhaft Ansichten an Besucher:innen wie Einheimische. Tourist:innen, Sammler:innen oder die Stadtbevölkerung selbst konnten so Stadtansichten kommentieren, verschicken und zeigen – kurz: aneignen. Doch wer schuf diese Bilder und welche Faktoren beeinflussten den Postkartenmarkt?
In zahlreichen Regionen des östlichen Europa waren es um 1900 vor allem jüdische Händler:innen –teilweise hatten auch Frauen Leitungsfunktionen in den Unternehmen inne –, die zu den Marktführer:innen im Postkartengeschäft zählten. Dies gilt für die nördlichen und östlichen Provinzen des Habsburgerreichs – 
Böhmen
eng. Bohemia, lat. Bohemia, ces. Čechy

Böhmen ist eine historische Landschaft im heutigen Tschechien. Die Landschaft bildet zusammen mit Mähren und dem tschechischen Teil Schlesiens das heutige Staatsgebiet Tschechiens. In der Region leben heutzutage knapp 6.5 Millionen Menschen. Die Hauptstadt Böhmens ist Prag.

Galizien
yid. גאַליציע‎, yid. Galitsiye, ron. Halici, ron. Galiția, hun. Halics, hun. Gácsország, hun. Kaliz, hun. Galícia, ces. Halič, slk. Halič, eng. Galicia, rus. Галиция, rus. Galizija, ukr. Галичина, ukr. Halytschyna, pol. Galicja

Galizien ist eine historische Landschaft, die sich heute nahezu vollständig auf dem Gebiet Polens und der Ukraine befindet. Der heute südostpolnische Teil wird dabei üblicherweise als Westgalizien, der westukrainische als Ostgalizien bezeichnet. Vor 1772 gehörte Galizien über Jahrhunderte zur polnisch-litauischen Adelsrepublik, im Anschluss und bis 1918 - als Teil des Kronlandes "Königreich Galizien und Lodomerien" - zum Habsburgerreich.

 und die 
Bukowina
ukr. Буковина, ukr. Bukowyna, ron. Bucovina, eng. Bukovina, deu. Buchenland

Die Bukowina ist eine historische Landschaft im heutigen Rumänien und der heutigen Ukraine. Der nördliche Teil liegt in der ukrainischen Oblast Tscherniwzi, der südliche hingegen gehört zum rumänischen Kreis Suceava. Die Region gehörte einst zum Fürstentum Moldau und zur Habsburgermonarchie.

 –, das Königreich Polen als Teil des Russländischen Reichs Russländischen Reichs Nach Ende des Großen Nordischen Krieges im Jahr 1721 wurde das Zarentum Moskau durch Peter I. (1672–1725) zum Kaiserreich erhoben, das bis zur Februarrevolution 1917 existierte. Während im Deutschen bislang überwiegend vom „Russischen Kaiserreich“ gesprochen wurde, setzt sich aktuell in der Forschung vermehrt die Bezeichnung „Russländisches Kaiserreich“ durch. Sie übersetzt den offiziellen russischen Namen „Rossijskaja Imperija“ präziser, da sich das Adjektiv „rossijskij“ auf die Landesbezeichnung „Rossija“ („Russland“) bezieht - im Gegensatz zum Adjektiv „russkij“, das sich auf ‚ethnisch‘ russische Gegenstände (Sprache, Kultur) beziehen würde. Mit der Bezeichnung des Reiches als „Russländisches Kaiserreich“ wird damit auch verstärkt berücksichtigt, dass es sich um einen kulturell vielfältigen imperialen Staat handelte, der seine Herrschaft über eine Vielzahl unterschiedlichster Bevölkerungsgruppen ausübte.  sowie teilweise die östlichen Provinzen des 
Deutsches Reich
eng. German Reich

Das Deutsche Reich war ein von 1871 bis 1945 existierender Staat in Zentraleuropa. Die Zeit von der Gründung bis 1918 wird als Deutsches Kaiserreich bezeichnet, dann folgte die Zeit der Weimarer Republik (1918/1919-1933) und die des Nationalsozialismus (sogenanntes Drittes Reich) von 1933 bis 1945. Als Tag der Reichsgründung gilt der 01.01.1871.

 – hier vor allem in der Provinz 
Posen
eng. Province of Posen, pol. Prowincja Poznańska

Die historische Provinz Posen befand sich von 1815 bis 1920 im östlichen Preußen. Heutzutage liegt das Gebiet der ehemaligen Provinz vollständig in Polen. Die Hauptstadt war die Stadt Posen (Poznań), der Namensgeber der Provinz. In dem Gebiet lebten ca. 2 Millionen Menschen.

. Für weitere Regionen wie zum Beispiel die Provinzen Ungarns oder die Ostseegouvernements des Zarenreichs fehlt es diesbezüglich noch an Grundlagenforschung.1 Als Quellen bieten sich vor allem Periodika und städtische wie staatliche Verwaltungsakten an. Nur in Ausnahmefällen sind Unternehmensnachlässe überliefert.2
 
In diesen Regionen lebten bereits vor den Teilungen Polens zahlreiche Jüdinnen:Juden. Die politische Ausgangslage der Judenheiten unterschied sich dabei von Staat zu Staat und oftmals von Region zu Region. Während Jüdinnen:Juden in den östlichen Provinzen des Deutschen Reich sich in den Städten überwiegend an die deutschsprachige Bevölkerung assimilierten, engagierten sich zahlreiche Jüdinnen:Juden im Königreich Polen für nationale Eigenständigkeit. In Galizien übernahmen Jüdinnen:Juden teils eine Mittlerrolle in den von verschiedenen Ethnien geprägten Stadtgesellschaften. Teils assimilierten sie sich aber auch an die polnischsprachige Bevölkerung. In der Bukowina wiederum traten oftmals Jüdinnen:Juden als Anhänger:innen der Monarchie in Erscheinung.
In den Städten waren Jüdinnen:Juden in den meisten dieser Regionen zahlreich im Milieu der Kaufleute und Händler:innen vertreten – nicht zuletzt, weil die jeweiligen Staaten ihnen bis weit in die zweite Hälfte des 19. Jahrhundert den Zugang zu anderen Berufen verboten oder erschwerten. Die jüdische Bevölkerung war deshalb stark im Buchhandel und Verlagswesen präsent.3 Als sich in den 1890er Jahren die Ansichtspostkarte zunehmend etablierte, waren es zunächst Einzel- und Kleinunternehmer:innen wie Fotograf:innen, kleine Druckereien, Buchhandlungen oder Papier- und Schreibwarenläden, die in das Geschäft einstiegen. So überrascht es nicht, dass zahlreiche jüdische Unternehmer:innen Ansichtspostkarten produzierten.
Die meisten der Verlage stellten Postkarten zusätzlich zu anderen Waren. Bereits Auflagen von 2.000 bis 3.000 Exemplaren ermöglichten Gewinne, unter 300 Kopien lohnte sich in der Regel die Herstellung einer Druckplatte nicht. Im Deutschen Kaiserreich wurden um die Jahrhundertwende Schätzungen zufolge jährlich etwa 750 Millionen Stück produziert. Davon waren zwar nicht alle Ansichtskarten, doch war deren Anteil beachtlich, wie eine Schätzung für die ungarische Hälfte der Donaumonarchie nahelegt: Dort kursierten in 1890er Jahren zwischen 20 und 25 Millionen Ansichtskarten.4 In Anzeigen beworbene „Ansichtskartenfabriken“ lassen vermuten, dass Postkarten für einige wenige Produzent:innen sogar das Kerngeschäft waren.
Erfolgsmodelle I – Spezialisierung
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Um zu verstehen, warum jüdische Händler:innen vielerorts die Branche dominierten, hilft ein Blick auf den Postkartenmarkt. In den multiethnischen Städten des östlichen Europa war die Konkurrenz keineswegs gering. Neben Stadt- und Gebäudeansichten veröffentlichten die Verlage Werbe-, Gruß- und Glückwunschkarten sowie sogenannte Volkstypen-Karten. Das Angebot richtete sich an verschiedene soziale Milieus, die sprachlich, religiös und ökonomisch ganz unterschiedlich geprägt waren.
Erfolg hatten unter anderem diejenigen Verlage, die sich ausschließlich an ein bestimmtes Milieu wandten und sich auch innerhalb dessen engagierten. Unternehmer:innen, die in Nationalbewegungen aktiv waren und national(istisch)e Motive veröffentlichten, sind ein typisches Beispiel dafür. Überwiegend lassen sich hier polnisch-, litauisch- und deutschnationale Verlage auf dem Gebiet des Deutschen Kaiserreichs nennen. Für das Habsburgerreich kommen statt der litauischnationalen vor allem tschechisch-, ungarisch- und ruthenischnationale Motive dazu. Im Königreich Polen wurden mit der Lockerung der Zensur 1905 ebenso verstärkt polnischnationale, aber auch litauischnationale Postkarten auf den Markt gebracht.
Ein Beispiel für einen jüdischnationalen Verlag stellt der Jehudia-Verlag aus 
Warszawa
deu. Warschau, eng. Warsaw

Warschau ist die Hauptstadt Polens und zugleich die größte Stadt des Landes (Bevölkerungszahl 2022: 1.861.975). Sie liegt in der Woiwodschaft Masowien an Polens längstem Fluss, der Weichsel. Warschau wurde erstmals Ende des 16. Jahrhunderts Hauptstadt der polnisch-litauischen Adelsrepublik und löste damit Krakau ab, das zuvor polnische Hauptstadt gewesen war. Im Rahmen der Teilungen Polen-Litauens wurde Warschau mehrfach besetzt und schließlich für elf Jahre Teil der preußischen Provinz Südpreußen. Von 1807 bis 1815 war die Stadt Hauptstadt des Herzogtums Warschau, einem kurzlebigen napoleonischen Satellitenstaat; im Anschluss des Königreichs Polen unter russischer Oberherrschaft (dem sog. Kongresspolen). Erst mit Gründung der Zweiten Polnischen Republik nach Ende des Ersten Weltkriegs war Warschau wieder Hauptstadt eines unabhängigen polnischen Staates.

Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs wurde Warschau erst nach intensiven Kämpfen und einer mehrwöchigen Belagerung von der Wehrmacht erobert und besetzt. Schon dabei fand eine fünfstellige Zahl an Einwohnern den Tod und wurden Teile der nicht zuletzt für seine zahlreichen barocken Paläste und Parkanlagen bekannten Stadt bereits schwer beschädigt. Im Rahmen der anschließenden Unterdrückung, Verfolgung und Ermordung der polnischen und jüdischen Bevölkerung wurde mit dem Warschauer Ghetto das mit Abstand größte jüdische Ghetto unter deutscher Besatzung errichtet, das als Sammellager für mehrere hunderttausend Menschen aus Stadt, Umland und selbst dem besetzten Ausland diente und zugleich Ausgangspunkt für die Deportation in Arbeits- und Vernichtungslager war.

Infolge des Aufstandes im Warschauer Ghetto ab dem 18. April 1943 und dessen Niederschlagung Anfang Mai 1943 wurde das Ghettogebiet systematisch zerstört und seine letzten Bewohner verschleppt und ermordet. Im Sommer 1944 folgte der zwei Monate dauernde Warschauer Aufstand gegen die deutsche Besatzung, in dessen Folge fast zweihunderttausend Polen ums Leben kamen und nach dessen Niederschlagung auch das restliche Stadtgebiet Warschaus von deutschen Einheiten weitgehend und planmäßig zerstört wurde.

In der Nachkriegszeit wurden zahlreiche historische Gebäude und Teile der Innenstadt, darunter das Warschauer Königsschloss und die Altstadt, wiederaufgebaut - ein Prozess, der bis heute andauert.

 dar. Das 1912 gegründete Verlagshaus war eng mit der jiddischen Zeitschrift „Hajnt“ (Heute) verbunden, die 1908-1939 veröffentlicht wurde und mit der zionistischen Bewegung sympathisierte. Der Verlag versuchte, moderne und orthodoxe Judenheiten miteinander in Dialog zu bringen und vermittelte „jüdisch“ als eigenständige Nationalität. Zunächst auf die Veröffentlichung von Büchern spezialisiert, begann Jehudia auch mit der Veröffentlichung von „Winsch-Karten“ für das jüdische Neujahr und andere jüdische Feiertage sowie arrangierte Genreszenen. Viele der Karten entwarfen idealisierte Bilder des jüdischen Lebens und Zusammenlebens in Polen. Auf den Postkarten rief der Verlag zu Spenden für die zionistische Bewegung auf. Die Motive waren ausschließlich für das jüdische Publikum bestimmt und die Bildsprache nur für dieses zu entschlüsseln.
Erfolgsmodelle II – Breites Kund:innenspektrum
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Es gab aber auch erfolgreiche Verlage, die sich mit ihren Motiven an ein breiteres Publikum wandten und sich politisch weniger klar positionierten. In der Regel sind heute von diesen Produzenten am meisten Postkarten überliefert. Regional und überregional erfolgreiche Verlage bauten überwiegend auf diese Strategie.
In der Provinz Posen zum Beispiel gab der Verlag Isidor Themals sowohl für die deutsch- als auch polnischsprachige Bevölkerung Postkarten heraus. Um die Bevölkerung in der Breite ansprechen zu können, beschäftigte Themal in seiner „Ansichtskartenfabrik“ deutsch- wie polnischsprachige Angestellte. Er platzierte sich und das Unternehmen zudem vielseitig in städtischen und regionalen Öffentlichkeiten. Innerhalb der Provinz Posen besaß das Unternehmen über zehn Filialen, so zum Beispiel auch in Wreschen (heute: Września) und Samter (heute: Szamotuły).  In der Provinzhauptstadt verkaufte Themal insgesamt an mindestens drei Orten. Kontakte knüpfte Themal im Verschönerungsverein der Stadt 
Poznań
deu. Posen

Poznań ist eine Großstadt im Westen von Polen und mit über 530.000 Einwohnern die fünftgrößte Stadt des Landes. Die Messe- und Universitätsstadt liegt in der historischen Landschaft Großpolen und ist zugleich Hauptstadt der heutigen gleichnamigen Woiwodschaft. Bereits in der Frühen Neuzeit ein bedeutendes Handelszentrum fiel die Stadt 1793 erstmals an das Königreich Preußen als Teil der neu gebildeten Provinz Südpreußen. Nach zwischenzeitlicher Zugehörigkeit zum Herzogtum Warschau (1807-1815) kam Posen nach dem Wiener Kongress erneut zu Preußen als Hauptstadt des neuen Großherzogtums Posen. Ab 1919 gehörte Poznań für zwei Jahrzehnte zur Zweiten Polnischen Republik, bevor die Stadt ab 1939 von der Wehrmacht besetzt und Teil des Reichsgaus Wartheland (dem sog. Warthegau) wurde. Die fast sechsjährige Besatzungszeit war geprägt durch die brutale Verfolgung der polnischen und jüdischen Bevölkerung einerseits, die zu Zehntausenden ermordet oder in Konzentrations- und Arbeitslagern interniert wurde, und der gezielten Neuansiedlung deutschsprachiger Bevölkerungsteile in Stadt und Umland andererseits. Anfang 1945 wurde Posen von der Roten Armee erobert und Teil der Volksrepublik Polen. Eines der wichtigsten Ereignisse der Nachkriegszeit war der gewaltsam niedergeschlagene Arbeiteraufstand im Juni 1956.

, dem er angehörte.
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Die Kartenmotive vermieden auch lokale nationale Spannungen nicht. Ansichten der sogenannten Ostdeutschen Ausstellung 1911 gab Themal ebenso heraus wie Fotografien des Posener Bazar-Gebäudes, in dem zahlreiche polnischnationale Institutionen saßen. Daneben verließ sich der Verlag auf Postkartenserien mit Stadtansichten Posens oder Aufnahmen bestimmter Ereignisse, die für die Stadt von Bedeutung waren. Themal wandte sich mit seinem breiten Angebot sowohl an die lokale Bevölkerung als auch an Reisende. Der Verlag deckte so einen großen Anteil des regionalen Markts ab und Konkurrent:innen, die sich zum Beispiel überwiegend entweder auf nationale oder touristische Motive fokussierten, hatten das Nachsehen.5 
Jüdische Verleger:innen und der Markt für Antijudaika
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Verlage, die ein breites Publikum ansprechen wollten, bedienten auch den um 1900 aufblühenden Markt für antijüdische Spottpostkarten. Dazu zählt zum Beispiel der Marktführer der böhmischen Länder, Lederer & Popper aus Prag. Der Verlag Josef Lederers und Rudolf Poppers gab unter anderem Karikaturen heraus, die Jüdinnen:Juden in Heilbädern zeigten und im Kontext des sogenannten Bäder-Antisemitismus verstanden werden können.6  
Auch Henryk Frist mit seinem Salon Malarzy Polskich in Krakau orientierte sich an der Nachfrage und stellte unter anderem Stadtansichten und Spottpostkarten mit antijüdischen Inhalten her. Abraham Icchak Ostrowski bediente mit seinen „Lodzer Typen“ Vorurteile über die als ostjüdisch wahrgenommene Bevölkerung des Königreich Polens. In Czernowitz leistete der dominierende Verleger Leon König mit seinen Motiven teilweise antijüdischen Stereotypen Vorschub.7 
Jüdischsein – Was bedeutete das für die Verleger:innen?
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Das wirft die Frage auf, welche Rolle Jüdischsein in den Lebensläufen der Produzent:innen spielte. Zahlreiche Verlagsinhaber:innen lebten ihr Jüdischsein und engagierten sich als Jüdinnen:Juden auch öffentlich. Henryk Frist zum Beispiel sei traditionsverbunden und gläubig gewesen, habe im Gegensatz zu den meisten jüdischen Kaufleuten in Krakau aber keine traditionelle Kleidung und Frisur mehr getragen.8 Leon König war Mitglied im monarchietreuen „Jüdischen Nationalverein“ in Czernowitz. Der Verlag Abraham Icchak Ostrowski gab seit 1912 das jiddischsprachige „Lodzer Morgenblatt“ heraus. Das hinderte die Verleger jedoch nicht daran, sich an der Nachfrage zu orientieren und mit ihren Postkarten antijüdische Vorurteile zu verbreiten.
Neben Überlegungen der Wirtschaftlichkeit muss die gesellschaftliche Position der Verleger:innen berücksichtigt werden. Das Gros der erfolgreichen jüdischen Verlagsinhaber:innen gehörte dem assimilierten Bildungs- oder Wirtschaftsbürgertum an. Traditionell gekleidete, orthodoxe Jüdinnen:Juden stellten für sie möglicherweise ein Fremdbild dar, von dem sie sich teilweise abgrenzten. Postkarten herauszugeben, die antijüdische Stereotype förderten, muss also nicht zwingend als Widerspruch zum Jüdischsein der Verleger:innen verstanden werden.
Dass Produzent:innen ihr Jüdischsein national definierten – wie Jehudia – war eher die Ausnahme. In der Regel bedienten sie regional bedeutende Nationalbewegungen. Einflussreiche Verlage wie der Salon Malarzy Polskich von Henryk Frist oder H. Altenberg in Lemberg positionierten sich mit ihren Produkten polnischnational. Frist war der wichtigste Akteur im galizischen Postkartenwesen. Er betrieb bereits vor der Gründung in der Altstadt eine Rahmenhandlung und verkaufte Kunst, häufig mit patriotischem Inhalt. Dann stieg er in das Postkartengeschäft ein, wobei ihm seine Verbindung zur lokalen Künstler:innenszene auch weiterhin zugutekam. Laut seinem Enkelsohn fühlte er sich als Pole.9 
Der Einfluss der Verlage auf die urbanen Bilderwelten
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Inwiefern wirkten sich die unterschiedlichen politischen wie ökonomischen Positionen der jüdischen Verleger:innen also auf die produzierten Bilderwelten aus? Auffällig ist, dass als jüdisch markierte Personen auf Stadtansichten meist als orthodox inszeniert werden. Teilweise benennen die Untertitel sie ausdrücklich aus Jüdinnen:Juden. Die assimilierte jüdische Bevölkerung, zu der die meisten Produzent:innen zählten, verschwindet auf den Postkarten hinter kaum zu differenzierenden, bürgerlich gekleideten Personen. Dies wird umso deutlicher im Vergleich mit den Postkarten des jüdischnationalen Jehudia-Verlags in Warschau. Jehudia präsentierte in der Regel ein romantisierendes Bild der jüdischen Bevölkerung. Auf mehreren Postkarten reichten sich als modern und traditionell dargestellte Jüdinnen:Juden die Hand. Dass überwiegend assimilierte Verleger:innen Postkarten produzierten, wirkte sich demnach auf die Darstellung von Jüdinnen:Juden in den Städten aus.
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Zudem zeichneten jüdische Verleger:innen vielerorts ein vergleichsweise ausgewogenes und differenziertes Bild der multiethnischen und -religiösen Städte. Während in Posen die meisten Verlage entweder eine polnisch oder deutsch konnotierte Version der Stadt auf Postkarten druckten, bot Isidor Themal beide Versionen an und bediente somit unterschiedliche Zielgruppen. Ansichten des polnischen Posens zeigten vor allem den östlichen Teil der Stadt, der mit der Dominsel, dem Handwerkerviertel Wallischei und dem Stadtzentrum für das alte, polnische Posen stand. Das Anfang des 20. Jahrhunderts neu errichtete Kaiserviertel im Westen der Stadt symbolisierte das deutsche Posen.10 Jedoch veröffentlichte Themal zudem eine weitere Ansichtskarte, die sich keiner dieser beiden Versionen zuordnen lässt und die sich der urbanen Entwicklung und Modernisierung widmete.11 Die Bildunterschrift hebt unter anderem die zahlreichen Gärten, die Bibliothek und das Museum hervor. 
Leon König in Czernowitz zeigte auf seinen Postkarten beinahe alle Gotteshäuser der Stadt – von der Synagoge über die griechisch-orthodoxe Paraskeva-Kirche, die römisch-katholische Herz-Jesu-Kirche bis hin zur armenisch-katholischen Kirche. Obwohl der Deutsche Nationalverein Jüdinnen:Juden explizit ausschloss, sind von König neben Ansichten des Jüdischen Nationalhauses zudem Postkarten des Deutschen Hauses überliefert. Verleger:innen wie Themal und König fokussierten sich nicht darauf, die Städte aus der Perspektive einer einzelnen ethnischen bzw. religiösen Gruppe zu porträtieren. Vielmehr arbeiteten sie die zahlreichen Facetten der Städte heraus.
Fazit
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Auf dem Postkartenmarkt in vielen Städten des östlichen Europa waren viele jüdische Produzent:innen vertreten. Dies hing damit zusammen, dass aufgrund von Berufsverboten zahlreiche Jüdinnen:Juden im Kleingewerbe arbeiteten. Ihren Erfolg verdankten die meisten Verlage einer Verkaufsstrategie, die sich an ein breites Kund:innenspektrum wandte und sich an der Marktlage orientierte. Damit verschafften sich einige der Verlage insbesondere einen Vorteil gegenüber Produzent:innen, die mit ihrem Angebot nur einen bestimmten, oftmals national definierten Teil der Gesellschaft bedienten.

Siehe auch