Der „Zug der Brüderlichkeit und Einheit“ wurde 1961 als Basisinitiative von slowenischen und serbischen Journalisten gegründet. Schlussendlich wurde er zu einer Manifestation des sozio-politischen Zusammenhalts der jugoslawischen Nationen und zu einem ritualisierten Instrument für die wirtschaftliche Vernetzung zwischen serbischen und slowenischen Gemeinden.
Städtepartnerschaften in Jugoslawien und darüber hinaus
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Städtepartnerschaften als Form der überregionalen Zusammenarbeit über nationale Grenzen hinweg entstanden im Europa der Zwischenkriegszeit als Nebenprodukt der Locarno-Verträge. Diese zielten darauf ab, die internationalen Beziehungen auf dem Kontinent vor allem durch die deutsch-französische Aussöhnung wieder zu festigen. Diese beiden Länder leiteten nach dem Zweiten Weltkrieg eine neue Welle von Städtepartnerschaften ein, die der Wiedereingliederung Deutschlands in das westliche politische System und der Sicherung der friedlichen Zukunft des Kontinents durch die Ausübung des Pazifismus auf lokaler Ebene dienten. Schnell verbreitete sich dieser Trend auf dem gesamten Kontinent und auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs, auch wenn die Partnerschaftsinitiativen, die die ideologische Kluft überwanden, auf die wenigen Partnerschaftsversuche zwischen westdeutschen und ostdeutschen Städten beschränkt blieben, die versuchten die ideologisch geprägte territoriale Teilung dieser Nation zu überwinden.1  Mit dem Niedergang des europäischen Sozialismus wurde die Praxis der Städtepartnerschaften jedoch allmählich in den Dienst der Osterweiterung der Europäischen Union gestellt, wobei die Idee des "Regierens auf mehreren Ebenen" gefördert wurde. Dieser projektorientierte Ansatz entfernte sich von den bis dahin vorherrschenden abstrakten Begriffen des Pazifismus und der interkulturellen Verständigung.2
Das Besondere an den Partnerschaftsaktivitäten der Städte im sozialistischen
Jugoslawien
srp. Југославија, hrv. Jugoslavija, eng. Yugoslavia, slv. Jugoslavija, sqi. Jugosllavia

Jugoslawien war ein südosteuropäischer Staat, der mit Unterbrechungen und in leicht wechselnden Grenzen von 1918 bis 1992 bzw. 2003 existierte. Hauptstadt und größte Stadt des Landes war Belgrad. Historisch unterscheidet man insbesondere zwischen der Zeit des Königreichs Jugoslawien von 1918 bis 1941 (auch 'Erstes Jugoslawien' genannt) und dem kommunistischen Jugoslawien ab 1945 (das sog. 'Zweite Jugoslawien') unter dem diktatorisch regierenden Staatschef Josip Broz Tito (1892-1980). Der Zerfall Jugoslawiens ab 1991 und die Unabhängigkeitsbestrebungen mehrerer Landesteile mündeten schließlich in die Jugoslawienkriege (auch Balkankriege oder postjugoslawische Kriege genannt). Die Nachfolgestaaten Jugoslawiens sind heute Slowenien, Kroatien, Serbien, Montenegro, Nordmazedonien, der Kosovo und Bosnien und Herzegowina.

war, dass sie zwar an internationalen Partnerschaftsprojekten teilnahmen, der Schwerpunkt jedoch auf Partnerschaften innerhalb Jugoslawiens selbst lag, vor allem zwischen Städten in zwei verschiedenen Teilrepubliken. Diese Initiativen sollten das Gefühl der Zugehörigkeit zur selben Gemeinschaft unter den Angehörigen verschiedener jugoslawischer Nationalitäten fördern und als praktische Umsetzung der offiziellen Politik der "Brüderlichkeit und Einheit" dienen.3  Die Konzentration auf innerjugoslawische Partnerschaften bedeutete nicht, dass jugoslawische Städte nicht auch Beziehungen zu ausländischen Partnern unterhielten, doch wurde den innerstaatlichen Partnerschaften im öffentlichen Diskurs eine größere Bedeutung beigemessen, da sie das politische Ideal der "Brüderlichkeit und Einheit" zwischen den Titularnationen der Teilrepubliken verkörperten.4
Wurzeln in der Erinnerung
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Unter Tausenden solcher innerjugoslawischer Partnerschaftsinitiativen, die sich organisch aus bilateralen Verbindungen in der Wirtschaft ergaben oder auf historischen Verbindungen beruhten, war die Partnerschaft zwischen Gemeinden in
Serbien
srp. Srbija, eng. Serbia, srp. Србија, srp. Republika Srbija

Serbien (Serbisch: Србија) ist ein Staat im südöstlichen bzw. mittleren Europa. In dem Land wohnen 6,9 Millionen Menschen. Belgrad ist die Hauptstadt und größte Stadt Serbiens. Serbien zählt zu den sogenannten Binnenstaaten und wird geographisch der Balkanhalbinsel zugeordnet. Den Großteil der Bevölkerung stellen die orthodox geprägten Serben.

und
Slowenien
slv. Slovenija, eng. Slovenia

Slowenien ist ein Staat im südöstlichen Mitteleuropa. Das Gebiet des heutigen Staates kam bereits im Mittelalter in den Besitz der Habsburger und war bis zum Ersten Weltkrieg Teil Österreich-Ungarns, mit einer kurzen Unterbrechung in napoleonischer Zeit. 1918 wurde das heutige Slowenien Teil des neu gegründeten Königreichs Jugoslawien und war nach 1945 als Sozialistische Republik Slowenien Teilstaat des nun sozialistischen Jugoslawiens. Seit 1991 ist Slowenien ein unabhängiger Staat, seit 2004 auch Teil der Europäischen Union.

Teil eines viel umfassenderen Netzwerks translokaler Interaktionen, das auf dem Gedenken an eine Episode des Zweiten Weltkriegs beruhte: im Sommer 1941 vertrieben die Nationalsozialisten ethnische Slowenen aus den Regionen
Krain
ita. Carniola, hun. Krajna, eng. Carniola, slv. Kranjska, slv. Dežela Kranjska

Die Krain ist eine historische Landschaft im südöstlichen Mitteleuropa und gehört heute zu Slowenien. Die Region fiel bereits im Mittelalter an die Habsburger und wurde 1849 österreichisches Kronland. Lediglich in die Zeit der Napoleonischen Kriege fällt eine kurze Phase französischer Herrschaft, in der die Krain eine der sog. Illyrischen Provinzen (1809–1813) wurde.

Nach 1918 wurde die Krain und das weitere Gebiet des heutigen slowenischen Staates Teil des neu gegründeten Königreichs Jugoslawien.

Als Teilregionen der Krain wurden historisch vor allem Oberkrain, Innerkrain und Unterkrain voneinander unterschieden.

und Steiermark mit dem Ziel, sie durch deutsche Bevölkerung zu ersetzen. Von den 80.000 vertriebenen Slowenen gelangten etwa 7.500 nach Westserbien, wo sich einheimische Familien bereit erklärten, sie bis zum Ende des Krieges aufzunehmen und zu schützen.5  Im Jahr 1961 beschlossen lokale Journalisten aus Svetozarevo (Serbien) und Maribor (Slowenien), den 20. Jahrestag dieser Deportationen zu begehen, indem sie die ehemaligen Flüchtlinge und ihre Gastgeber für einige Tage an denselben Orten wieder zusammenbrachten. Dazu nutzten sie das bekannte kulturelle Format der "Kolonnen der Brüderlichkeit und Einheit" zwischen den jugoslawischen Republiken, und mehrere Tausend ehemalige Flüchtlinge und ihre Familien reisten mit einem Sonderzug entlang der Exilstrecke von Slowenien nach Serbien und besuchten dieselben Familien, die sie während des Krieges aufgenommen hatten. Diese Veranstaltung erwies sich als großer Erfolg und wurde zum regelmäßig organisierten „Zug der Brüderlichkeit und Einheit“ (serbisch: Voz bratstva i jedinstva, slowenisch: Vlak bratstva in enotnosti), der alle zwei Jahre in wechselnder Richtung zwischen Serbien und Slowenien fuhr. Die räumliche Tragweite der Veranstaltung dehnte sich aus, als neue Gemeinden aus beiden Republiken hinzukamen, während die Reisegruppen durch verschiedene politische, kulturelle und bildungspolitische Delegationen sowie durch Vertreter der größten lokalen Wirtschaftsunternehmen angereichert wurden. Der Zug wurde schließlich zu einer alle zwei Jahre stattfindenden Manifestation des sozio-politischen Zusammenhalts der beiden jugoslawischen Nationen und ihrer Teilrepubliken, während der Aspekt des Gedenkens zugunsten der wirtschaftlichen Vernetzung zwischen den beteiligten serbischen und slowenischen Gemeinden allmählich an Bedeutung verlor.
Partner kommen ins Geschäft
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Eine neue Phase der Verbindungen zwischen den Gemeinden begann 1970, als die Städte Kraljevo (Serbien) und Maribor (Slowenien) die erste serbisch-slowenische Städtepartnerschaftsurkunde unterzeichneten. Schnell folgten weitere beteiligte Gemeinden, so dass bis 1987 bereits 38 Städtepartnerschaften bestanden. Der symbolische Akt der Städtepartnerschaft wurde zu einem festen Bestandteil der Struktur des Zuges, so dass die Aufnahme neuer Gemeinden in das Netzwerk bedeutete, dass die neuen Mitglieder gleichzeitig nach einem geeigneten Partner in der anderen Republik suchen mussten. Die Kriterien, auf die sich diese Suche stützte, mussten die gemeinsamen wirtschaftlichen, sozialen, demografischen und kulturellen Merkmale der jeweiligen Gemeinden berücksichtigen. Darüber hinaus wurden neben Gemeinden auch Partnerschaftsurkunden zwischen Kommunen, Sportvereinen, Schulen, Bahnhöfen, Bergsteigervereinen und zahlreichen anderen kleineren Gruppen unterzeichnet, was diese translokale Diplomatie auf die Mikroebene übertrug. So stellten sich die etablierten interkommunalen Kontakte als eine Version der panjugoslawischen Brüderlichkeit zwischen Republiken und ihren Titularnationen im Kleinen dar.
Besonders nützlich für die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen den Partnergemeinden waren die Partnerschaften zwischen Unternehmen, die im gleichen Produktionsbereich tätig waren. So konnten sie ihrer gegenseitige Zusammenarbeit die symbolische Aura "brüderlicher" Beziehungen zwischen ihren größeren Gemeinschaften verleihen, anstatt sie mit rein wirtschaftlichen Motiven zu rechtfertigen. Folglich unterzeichneten "Paare" lokaler Fabriken in Partnergemeinden, die in verwandten Bereichen tätig waren, ihre eigenen Partnerschaftsvereinbarungen. Die dabei entwickelten Kooperationsprojekte reichten von der Spezialisierung der Produktion, der Integration von Produktionsanlagen, der Teilung der Produktion, der Beschaffung von Rohstoffen bis hin zur Unterstützung der Hilfsproduktion. Auch wenn die republikübergreifende Zusammenarbeit zwischen wirtschaftlichen Akteuren in Jugoslawien nichts Neues war, so war die Vernetzung zwischen Unternehmen aus den Gemeinden, die Teil des Zug-Netzwerks waren, doch etwas Besonderes: Die beteiligten Akteure verwendeten die Rhetorik historischer Verbindungen, brüderlicher Dankbarkeit und Solidarität und nicht die der gewinnorientierten wirtschaftlichen Logik.
Ein weiterer wichtiger Nebeneffekt des Zuges betraf die Arbeitslosenstatistik in den beteiligten Gemeinden. Durch die Koordination zwischen den Arbeitsämtern in den Partnergemeinden konnten viele junge Menschen aus Serbien nun auf dem besser entwickelten slowenischen Arbeitsmarkt Anstellungen finden. Diese innerjugoslawische Abwanderung von Fachleuten und ausgebildeten Arbeitskräften, die wohl der slowenischen Wirtschaft auf Kosten des serbischen Arbeitsmarktes zugutekam, wurde jedoch durch die Auslagerung der Produktion in die andere Richtung, von Slowenien nach Serbien, ausgeglichen. Dies geschah durch Projekte auf der grünen Wiese, wie die Errichtung der Fabrik Bratstvo im serbischen Dorf Ušće, die vollständig durch slowenisches Kapital finanziert wurde. Die wirtschaftliche Zusammenarbeit führte nicht nur zu greifbaren und langfristigen Veränderungen in der wirtschaftlichen Funktionsweise der beteiligten Städte, sondern überschattete schließlich auch den ursprünglichen Gedenkzweck der Aktion selbst. Was einst als bewegtes Gedenken begann, entwickelte sich schließlich zu einem relativ beständigen Netzwerk von Infrastruktur- und Entwicklungsprojekten, das fast alle Produktions- und Dienstleistungsbranchen umfasste. In den 1980er Jahren waren die symbolischen Verbindungen zwischen dem serbischen und dem slowenischen Volk nicht mehr so metaphysisch, sondern in konkreten Wirtschaftsprojekten und bilateralen Verträgen verankert, die die Wirtschaftspolitik und die räumliche Gestaltung zahlreicher Städte und Dörfer in beiden Republiken maßgeblich prägten. 
“Der Zug, der niemals halten soll“ hält an
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Die vermeintlich harmonische Verbindung von Kriegserinnerung, institutionellem Austausch, wirtschaftlicher Zusammenarbeit und persönlicher Verbundenheit verlief jedoch nicht so reibungslos, wie es schien. Sie wurde hinterfragt, als die politische und verfassungsrechtliche Krise auf Bundesebene begann, sich auf die lokalen Organisatoren auszuwirken. Die wirtschaftliche Rezession und die Schuldenkrise, die Jugoslawien zu Beginn der 1980er Jahre heimsuchte, belastete die Investitionsmöglichkeiten im ganzen Land, einschließlich der bilateralen Projekte der serbisch-slowenischen Partnergemeinden. Die dezentralisierte Föderation war nicht in der Lage, eine kohärente Politik zur Belebung der Wirtschaft zu entwickeln, die von allen Beteiligten mitgetragen wurde, was dazu führte, dass die Kluft im Lebensstandard zwischen den beiden Republiken immer größer wurde. Infolgedessen begann die lokale Entwicklungspolitik, der "einheimischen" Wirtschaft Vorrang einzuräumen und die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Slowenien und Serbien mit gegenseitigen Vorwürfen der Ausbeutung zu belegen. Obwohl der Zug auf dem Prinzip der Solidarität beruhte, wurden schließlich die Interessen der eigenen Republik priorisiert, was das Prinzip der transregionalen Solidarität und seine Vorgeschichte untergrub.
Auf breiterer Ebene kristallisierten sich in den späten 1980er Jahren zwei gegensätzliche Visionen von der Zukunft Jugoslawiens heraus. Während die serbische Führung die Bewegung für eine Rezentralisierung und die Aufrechterhaltung des politischen Monopols der Kommunisten anführte, plädierten die slowenischen politischen Eliten für eine weitere Schwächung der föderalen Macht und für politische Pluralisierung. Gleichzeitig wurden die wahrgenommenen kulturellen Unterschiede zwischen Slowenen und Serben, die einst im Sinne des Multikulturalismus positiv interpretiert wurden, plötzlich als Hindernis für die interethnische Kommunikation gesehen. Die Kluft zwischen den serbischen und slowenischen republikanischen Eliten und die daraus resultierende verfassungsrechtliche Blockade spiegelten sich in den Beziehungen zwischen den Akteuren der unteren Ebene wie den Gemeinden, Kommunen und Familien wider, parallel zu der übergeordneten Politik der jeweiligen Republik. Infolgedessen waren die Reaktionen auf lokaler Ebene oft noch weniger versöhnlich als auf republikanischer Ebene, da die lokalen Akteure unter dem Druck standen, sich dem Regime ihrer eigenen Republik anzupassen. Dies führte in den späten 1980er Jahren zu zahlreichen Spannungen und Fragen über die Zukunft der Veranstaltung, die sich am besten in einer Aussage von Jože Smole, dem Leiter der slowenischen Delegation während des Zuges 1989, zusammenfassen lassen: "Zug der Brüderlichkeit, ja, Zug der Einheit, nein. Wir sind zu verschieden, um vereint zu sein".6
Während diese Herausforderungen anfangs relativ erfolgreich durch das Vertrauen auf die emotionale Kraft persönlicher Interaktionen gemildert werden konnten, kam es mit dem Ausbruch des militärischen Konflikts zwischen der jugoslawischen Armee und den slowenischen Polizeikräften im Jahr 1991 (dem so genannten "Zehn-Tage-Krieg") zum endgültigen Zusammenbruch dieser Praxis. Das dezentralisierte Netz der interrepublikanischen Vernetzungen in Wirtschaft, Kultur und Bildung wurde schließlich den politischen Machtspielen der Republiken und ihrer militärischen Eskalation unterworfen. In diesem unglücklichen historischen Kontext machte die verfassungsmäßig sanktionierte Vorherrschaft der Republiken letztlich die innerstaatliche Diplomatie zunichte, die jahrzehntelang von lokalen Aktivisten gepflegt worden war, und das, was Tausende von Familien als ihre "zweite Heimat" in der anderen Republik wahrgenommen hatten, wurde zu einem fremden Land, das jenseits der neuen Staatsgrenzen lag und unter der Last des trennenden politischen und historischen Erbes der jugoslawischen Auflösung stand.
Text
Ins Deutsche übersetzt von Hilke Wagner.

Siehe auch